Münster. 300 Menschen feierten am 24. Oktober eine gemeinsame Friedensvesper zum 375. Jahrestag des Westfälischen Friedens. Eingeladen hatten die evangelische Apostel-Kirchengemeinde, die katholische Pfarrei Sankt Lamberti und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) unter dem Leitwort „Er herzte ihn und sie weinten“ aus dem ersten Buch Mose. In der Kanzelrede stellte sich der Psychotherapeut und Theologe Professor Dr. Michael Utsch der Frage, unter welchen Gesichtspunkten Konflikte gewaltfrei gelöst werden können.
„Wie wurde vor 375 Jahren Friede möglich?“ fragte Pfarrerin Kerstin Schütz in ihrer Begrüßung. Angesichts der eskalierenden Gewalt im Nahen Osten, dem Ukrainekrieg und den konkreten Krisen vor Ort ist das Thema auch heute aktuell. Durch Verhandlungen und Gespräche sei es damals möglich gewesen, die Gewalt zu überwinden. Friede entstehe durch Dialog.
Doch wie kann Dialog, Austausch und im besten Fall Versöhnung nach einem Konflikt entstehen? Anhand der Geschichte von Jakob und Esau ging Kanzelredner Prof. Dr. Michael Utsch dieser Frage nach. Zunächst beleuchtete er die Geschichte des Geschwisterpaares: Zwei Brüder, unterschiedlich wie Tag und Nacht, konkurrieren miteinander und versuchen einander auszustechen. Die Eltern sind an der Rivalität beteiligt. Esau verbündet sich mit dem Vater, Jakob mit der Mutter. Der Konflikt eskaliert, als Jakob sich mit Hilfe der Mutter als sein Bruder verkleidet den Segen des Vaters erschlich. Heute würde man, so Utsch, von einer dysfunktionalen Familie sprechen. Familien seien „Brutstätten interpersonaler Verletzung“, „Kränkungsgeschichten, weil nicht gelernt wurde, zu verzeihen“, aber auch ein „Laboratorium um Verzeihen einzuüben“. Auch ohne es zu wollen, würden Menschen aneinander schuldig. Jakob und Esau werden sich gut zwanzig Jahre später versöhnen, doch zuerst flieht Jakob, um einen weiteren Konflikt zu vermeiden und Esau droht ihm Gewalt an.
Zunächst, hält Utsch fest, müssten die durch den Konflikt entstandenen Gefühle verarbeitet werden. Dazu bräuchte es zunächst einmal die Wahrnehmung der eigenen Verletztheit. Irgendwann komme die Einsicht, dass Unversöhnlichkeit ein enormer Stressfaktor sei und das Leben verkürze: „Wut, Ärger, Selbstmitleid sind nutzlose Strategien. Wenn ich das Heft selber wieder in die Hand nehme, kann es gelingen, die Kränkung in mein Leben zu integrieren.“ Auch der Sterbeprozess falle Menschen leichter, die mit sich selbst und anderen versöhnt seien. Der Entschluss zu verzeihen sei ein Faktor, der viel Hoffnung mache: „Wer aus der Vergebung lebt, kann leichter Mitgefühl für andere entwickeln.“ Verletzungen und Konflikte gehörten zum Leben dazu. Sie müssten eingestanden und ausgehalten werden: „Der Dialog über verschiedene Erwartungshaltungen und Bedürfnisse ist nötig!“. So sei Versöhnung möglich.
Jakob und Esau gehen am Ende getrennte Wege. „Versöhnung kann auch bedeuten, die Andersartigkeit zu akzeptieren und in Frieden weiterzuleben.“, beendete Utsch seine Ausführungen.
Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Kreiskantor des Evangelischen Kirchenkreises Münster, Konrad Paul, an der Orgel und dem Kammerchor St. Lamberti unter der Leitung von Maximilian Betz.