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„Und als er seine Augen aufschlug sah er nichts“ – Barockgottesdienst auf Schloss Nordkirchen

Zahlreiches Publikum versammelte sich vor der Barockkulisse des Schlosses Nordkirchen. Foto: Rainer Nix

Nordkirchen. „Und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts“. Die Bekehrung des Saulus aus der Apostelgeschichte 9 war Kernpunkt des Open-Air Barockgottesdienstes am 4. September im Innenhof des Barockschlosses Nordkirchen. Anlässlich der 1000-Jahrfeier Nordkirchens luden die Kirchengemeinden in der Südregion des Evangelischen Kirchenkreises Münster dazu ein. Angeschlossen war die Aufführung der berühmten Komödie „Tartuffe“ des französischen Schauspielers, Theaterdirektors und Dramatikers Jean-Baptiste Poquelin alias Moliere (1622–1673). Das Ensemble der „Theatralischen Theolog*innen“ der Evangelischen Fakultät Münster präsentierten eine packende Version des klassischen Schauspiels über einen heuchlerischen Glaubenseiferer.

„In guter Tradition feiern wir heute einen überregionalen Gottesdienst im Südbereich unseres Kirchenkreises“, begrüßte Pfarrerin Angelika Ludwig von der Evangelischen Mirjam-Kirchengemeinde Ascheberg Drensteinfurt. „Es ist ein Barockgottesdienst und deshalb habe ich ein barockes Beffchen angelegt“, erklärte Pfarrer Dr. Hans Lohmann von der Kirchengemeinde Lüdinghausen. Dabei handelte es sich um ein seit dem 17 Jahrhundert am Halsausschnitt getragenes großformatiges rechteckiges Leinenstück. Thorsten Melchert, Pfarrer der Christusgemeinde Olfen, Pfarrer Stefan Benecke, Gemeinde Senden und Gemeindepädagoge Kevin Stückenschneider von der Mirjam-Kirchengemeinde gestalteten den Gottesdienst mit. Die Predigt hielt Dr. Sabine Joy Ihben-Bahl, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Münster am Seminar für praktische Theologie und Religionspädagogik.

Bei herrlichem Sonnenwetter fanden viele Gläubige den Weg zur imposanten Schlossanlage, in dessen Außenbereich die Bühne aufgebaut war, die den zahlreichen Akteuren Platz bot. Das Orchester Concert Royal Köln unter Leitung von Karla Schröter verlieh auch musikalisch einen erbaulichen Rahmen. Der Klang von Barocktrompete, -oboe, -fagott sowie Orgel faszinierte. Die Chöre der Kirchengemeinden unter Leitung von Konrad Paul rundeten das besondere Erlebnis ab. Eine Kollekte für die Tafeln der Region erbrachte die Summe von 1100 Euro.

Dr. Ihben-Bahl ging in ihrer Predigt detailliert auf die Geschichte des Saulus von Tarsus, besser bekannt als Apostel Paulus, ein. Vom Christenverfolger mutierte er zum Kämpfer für die Sache Gottes. In Damaskus hat Saulus das Schlüsselerlebnis, als er ein helles Licht am Himmel sah. Er vernahm eine Stimme, die sprach „Was verfolgst du mich?“ Saulus verstand, dass Jesus zu ihm sprach und er ihm den Auftrag erteilte, in die Stadt zu gehen. Doch er kann gar nichts mehr: „Und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts.“ Er erleidet zunächst einen Zusammenbruch. War das so etwas wie ein „Burn out?“ Moderne Interpretationen sprechen davon. „Nein, es ist nicht ausgeschlossen, den Text als „Burn-Out-Geschichte“ zu lesen, sagte Ihben-Bahl, „Doch ich will mir kein Urteil darüber erlauben, wie dieser Zusammenbruch hier genau zu beschreiben ist. Wichtig ist, was Paulus sieht, wenn auch nicht sofort: Zeitgleich erscheint Gott dem frommen Mann Hananias, der dem Paulus im Namen des Herrn die Augen öffnen soll. Obschon skeptisch, erkennt er schließlich das Potenzial, das Saulus, nun Paulus, in sich trägt. Die Augen öffnen und doch – zunächst – nicht sehen ist kein seltenes Phänomen. Nicht jeder wird erkennen, wer er ist und wie er von Gott gesehen wird. „Wir können Gott nur darum bitten“, betonte Dr. Sabine Ihben-Bahl, „wir können ausrufen ‚Sehen heißt Sehen‘, wir dürfen glauben, dass es möglich ist.“

Stimmen aus den Reihen der Gläubigen: „Ein Burn out kommt in unserer Gesellschaft nicht selten vor“, so Ingrid Pilawa aus Lünen Alstedde, „Der Brückenschlag von der Bibelgeschichte in die heutige Zeit hat mich sehr beeindruckt, dass gibt mir etwas, das ich in den Alltag mitnehme.“ Auch das „Potpourri“ aus Gesängen und Musik des Concert Royal Köln empfand sie als beeindruckend.

In Molieres Stück „Tartuffe“ geht es ebenfalls darum, eigentlich Offensichtliches zuerst nicht zu sehen. Die Geschichte des heuchlerischen Frömmlers „Tartuffe“, Uraufführung im Jahr 1664, war zur Entstehungszeit eine Kritik an religiösem Heuchlertum, was einen Theaterskandal auslöste. Erst die deutlich geänderte dritte Version wurde von Ludwig XIV. unterstützt und wird bis heute gespielt. Die Menschen um die Hauptfigur herum können oder wollen nicht sehen, wie sie wirklich ist.
Rainer Nix