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Authentisch, bodenständig und uneitel – Nach 30 Jahren geht in der Kirchengemeinde Greven-Reckenfeld die Ära von Uwe Völkel zu Ende

Hat seine Gemeinde über drei Jahrzehnte hin geprägt: Pfarrer Uwe Völkel. Foto: privat

Greven. „Authentisch“: Wenn dieses Modewort auf jemanden zutrifft, dann auf Uwe Völkel. Wobei der völlig uneitle, bodenständige Pfarrer der evangelischen Gemeinde Greven-Reckenfeld, der nach sage und schreibe 30 Amtsjahren in derselben Gemeinde in Ruhestand geht und am 22. Juni verabschiedet wurde, dieses Wort für sich selbst wohl nie verwenden würde.

Uwe Völkel wurde 1962 in Dortmund geboren und wuchs in seiner Heimatstadt als Sohn eines Bergmanns und einer Verkäuferin auf. Völkel wurde im christlichen Sinne erzogen und nach der Konfirmation ehrenamtlich in der evangelischen Gemeinde Lütgendortmund aktiv, leitete Jugendgruppen und Jugendfreizeiten und engagierte sich in der Eine-Welt-Arbeit und der Friedensbewegung. Im Jahr 1982 legte er am Dortmunder Bert-Brecht-Gymnasium (Völkel: „Das war damals so links, wie es sich anhört“) das Abitur ab. Sein Vater, bekennender Sozialdemokrat und Gewerkschafter, hatte ihn gefördert und sich, auch gegen Widerstände, stark dafür eingesetzt, dass er als Arbeiterkind das Gymnasium besuchen konnte. Nach dem Abitur absolvierte er erst seinen Zivildienst in einer Lüdenscheider Altenpflege-Einrichtung. Wie kam Völkel danach auf die Idee, Theologie zu studieren? „Ganz einfach: Ich habe überlegt, was ich gut kann“, antwortet der gradlinige Pfarrer. „Und da ich gern mit Kindern, Jugendlichen und alten Menschen gearbeitet habe, Fragen zu den Grenzen des Lebens mich sehr beschäftigten und ich auch gern Texte geschrieben und mich mit Literatur auseinandergesetzt habe, lag die Entscheidung für die Theologie nahe.“ So nahm er folgerichtig 1984 das Studium der Evangelischen Theologie an der Ruhruniversität Bochum auf, wo er den großen Zusammenhalt unter den Studierenden zu schätzen lernte. „Der Ruhrpottstudent muss geerdet sein“, erklärt er lächelnd. Im Jahr 1990 legte er in Bielefeld-Bethel sein erstes kirchliches Examen ab, verkaufte danach ein Jahr lang Fernseher und arbeitete schließlich zwei Jahre lang als Vikar in der Kirchengemeinde Bochum-Stiepe. Nach dem zweiten Examen im Jahr 1993 war er als Pastor im Hilfsdienst in der Öffentlichkeitsarbeit des Diakonischen Werks Hagen tätig. Uwe Völkel und seine Frau Gudrun Bamberg hielten danach gezielt Ausschau nach ausgeschriebenen Pfarrstellen in Gemeinden aus, die sie sich teilen konnten, und kamen so nach Greven-Reckenfeld. „Anfangs war diese Aufgabe im Münsterland für mich als Ruhrpottkind ein Kulturschock“, gibt Völkel offen zu. „Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in einer ganz anderen Welt gelandet. Auf Kreissynoden trugen die Männer zum Beispiel Anzug, was im Ruhrgebiet undenkbar gewesen wäre.“ Vor dem Amtsantritt des Ehepaars Völkel war die Pfarrstelle ein Jahr vakant gewesen, und das Presbyterium hatte das Gemeindeleben aufrechterhalten; ein neues Presbyterium musste deshalb gewählt werden. Kindergottesdienste und Konfirmationsunterricht lagen völlig am Boden. „Wir hatten viel Aufbauarbeit zu leisten, aber mit der Zeit gelang es uns, vieles umzustrukturieren und neu zu stemmen“, freut sich Völkel.

Da zuvor drei Pfarrstellen in Greven und Reckenfeld auf zwei zusammenschrumpft waren, mussten die beiden Gemeindeteile neu aufgestellt und stärker zusammengeführt werden. Im Sommer wurden gemeinsame Jugendfreizeiten etabliert, und der Konfirmandenunterricht wurde stärker an die Gemeinde gebunden. „Viele in der Gemeinde hatten damals Lust, etwas Neues anzufangen, und wir haben die Aktivitäten angeschoben“, erinnert sich Völkel. „Bei mir stellte sich vorübergehend auch einmal ein solches Gefühl ein wie ‚Das hat doch alles keinen Sinn‘, aber das habe ich dann schnell wieder überwunden.“ Letztlich sei es ihm und seiner Frau gut gelungen, die beiden Gemeindeteile zusammenzuführen, und noch heute machten Greven und Reckenfeld vieles zusammen, was früher undenkbar gewesen wäre. Doch Uwe Völkel hat auch eine Überraschung parat, die so ganz zu seiner uneitlen und unprätentiösen Art passt: Er hat sich immer gegen das biblische Bild gewehrt, als wenn er als Pfarrer der gute Hirte seiner „Schäfchen“ wäre. „Ich bin nicht gern Hirte“, gibt er zu, „sondern mir ist es lieber, wenn die Gemeinde selbst etwas macht und eigenständig Entscheidungen trifft.“ Glücklicherweise habe es während seiner Amtszeit in der Gemeinde Greven-Reckenfeld aber immer Leute gegeben, die wichtige Entscheidungen mit getroffen und ihn auch vor manchem bewahrt hätten.

Nachdem er zu Beginn seiner Amtszeit keine Zeit hatte, um auf Kirchenkreis-Ebene aktiv zu werden, wurde das später anders: Nach einer entsprechenden Ausbildung bekam er 2010 die Anerkennung als Supervisor, wurde Vorsitzender des Seelsorgeausschusses des Kirchenkreises und 2014 stellvertretender Superintendent und Assessor. Zudem wurde er Mitglied der Geschäftsführung der Telefonseelsorge. „Ich wollte auch mal ausprobieren, wie das auf Leitungsebene ist und ob ich das kann“, erläutert Völkel, der nach dem Wechsel seiner Frau nach Ostbevern ab 2009 alleine Pfarrer war. Doch er konnte zunächst noch nicht ahnen, welcher Ernstfall auf ihn zukommen würde: Wegen der Erkrankung und schließlich des Rücktritts der damaligen Superintendentin Meike Friedrich, übernahm er 2016 für anderthalb Jahre deren Vertretung – eine sehr fordernde Zeit. „Ich habe in dieser Zeit vieles gern gemacht, mit vielen gut zusammengearbeitet und zudem über die Kirche und mich viel gelernt, wie ich mich in verschiedenen Kreisen bewegen kann“, hebt der 63-jährige hervor. „Aber letztlich war mir das zu viel Büroarbeit und zu viel Repräsentation. Mir haben die Menschen in der Gemeinde gefehlt.“ Deswegen habe er sich letztlich auch nie um das Amt des Superintendenten beworben, obwohl er mehrfach dazu ermuntert worden sei, fügt Völkel hinzu. Immerhin aber konnte er in dieser Zeit, in der er den Kirchenkreis Münster kommissarisch leitete, noch den einen oder anderen Gottesdienst und auch den Konfirmandenunterricht in seiner Gemeinde halten, und es brach dort nichts weg, weil die Gemeinde ihn stark unterstützte. Nach dem Tod von Ulf Schlien, Meike Friedrichs Nachfolger als Superintendent, im Herbst 2019 leitete er zusammen mit Thomas Groll erneut ein halbes Jahr lang den Kirchenkreis Münster und freute sich dann umso mehr über die Wahl Holger Erdmanns zum Superintendenten, weil er ihn gut kennt und schätzt.

Ein größerer Einschnitt war dann für Völkel seine Krebserkrankung im Jahr 2021, die ihn ein halbes Jahr zum Aussetzen zwang. Doch wenn er an diese schwierige Zeit denkt, ist er zugleich voll des Lobes über seine Gemeinde, die ihn sechs Monate lang in Ruhe gelassen und getragen habe. Als er schließlich seinen Schwerbehindertenausweis bekam, fing er ernsthaft an, darüber nachzudenken, wann er in den Ruhestand gehen wollte. „Heute bin ich wieder völlig gesund und fühle mich gut, aber ich wollte abtreten, solange mein Beruf mir noch Freude bereitet, und mich nicht durch die letzten Amtsjahre schleppen müssen“, verdeutlicht er seine Motive. „Eine solche Krankheit lehrt einen, mehr auf sich selbst aufzupassen und jeden Tag als Geschenk anzunehmen.“ Für den bevorstehenden Ruhestand aber hat er noch viel vor: Nach einem halben Jahr Pause wird er ab Anfang 2026 wieder für Gottesdienste zur Verfügung stehen. Mehrere Gruppen, darunter Vikarinnen und Vikare, wird er als Supervisor weiter begleiten, und auch in der Seelsorgefortbildung im Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der evangelischen Landeskirche im Haus Villigst (Schwerte) wird er weiter tätig bleiben. „Dahinter steckt meine Überzeugung, dass meine Generation ihre Erfahrungen weitergeben soll“, betont der erfahrene Seelsorger. „Ich habe so viel erlebt und gelernt, was ich nicht für mich behalten will.“ Er habe gern Gottesdienste gehalten, Konfi-Arbeit mit Leidenschaft betrieben und auch „gern beerdigt“, insoweit man das überhaupt so formulieren dürfe, denn Beerdigungen seien ein wichtiger Dienst an den Angehörigen. Das alles sei seine Form von Spiritualität. Außerdem habe er immer gern kurz gepredigt: Einen Gedanken, ein Gefühl, einen Aspekt zu beleuchten, das reiche aus und gefalle den Menschen auch gut. „Die Leute sollen das mit nach Hause nehmen, was ich kann, mit der Gabe, die ich empfangen habe“, beteuert er. „Jeder und jede hat von Gott etwas geschenkt bekommen, was er oder sie gut kann und für Gemeinde und Gesellschaft nutzbar machen sollte.“ Er habe sich selbst stets als Ermöglicher verstanden, und dabei habe das Gottvertrauen ihn auch in unsicheren Zeiten immer getragen. „Das kann man den Menschen zusagen und ist wichtiger als das Vertrauen auf sich selbst“, weiß Völkel. Zugleich sei es ihm ein Anliegen gewesen, anderen ihre Freiheit zu lassen und sie zu respektieren – ganz im Sinne seiner Lieblings-Bibelstelle „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Galaterbrief 5,1). Dass sein eigener Sohn genau diese Bibelstelle als Konfirmationsspruch ausgewählt hat, das hat ihn besonders gefreut.

Private Pläne hat Völkel für den Ruhestand selbstverständlich auch: Er will weiterhin wie schon bisher seit 1976 jedes Heimspiel von Borussia Dortmund besuchen, außerdem mehr Konzerte als bisher ohne zeitlichen Druck aufsuchen können und noch manche Reise antreten, vor allem nach Skandinavien. Darüber hinaus aber will er auch vieles ganz einfach auf sich zukommen lassen. Und wie ist es um seine Nachfolge bestellt? Seine Stelle wird nicht wiederbesetzt; dafür werden die Aufgaben im pastoralen Raum mit Emsdetten, Saerbeck und Nordwalde-Altenberge kirchenkreisübergreifend neu verteilt. Von dieser Zusammenarbeit, die auf einer Kultur des gegenseitigen Einladens beruht und viel Kärrnerarbeit des Zusammenführens erfordert hat, verspricht er sich sehr viel. „Den daran Beteiligten wünsche ich so viel Vertrauensvorschuss, wie er mir hier lange entgegengebracht wurde“, richtet sich sein Blick in die Zukunft. Gerd Felder