Münster. Als erster Kirchenkreis in Westfalen hat der Evangelische Kirchenkreis Münster einen Trägerverbund für offene Kinder- und Jugendarbeit gegründet, den Jessica Böker leitet. Waren zuvor die Kirchengemeinden selbst Trägerinnen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, so ist es jetzt der Trägerverbund, mit dem somit eine neue, eigenständige Säule der kirchlichen Arbeit entstanden ist. Um deren Arbeit bekannter zu machen, stellen wir in dieser Serie beispielhaft Einrichtungen vor, die dem Trägerverbund angehören. In der vierten Folge geht es um das „Bonni“, den Offenen Kinder- und Jugendtreff in Münsters Innenstadt, den Tobias Volkmer leitet.
Tobias Volkmer wurde 1987 in Coesfeld geboren, wuchs in Billerbeck auf und besuchte dort auch die Grund- und Realschule. Volkmer kommt aus einer katholischen Familie, die aber kirchlich nicht besonders stark engagiert war. Er selbst wurde katholisch getauft, ging zur Kommunion und zur Firmung und fuhr mit nur sieben Jahren zum ersten Mal in eine Jugendfreizeit der katholischen jungen Gemeinde in Langenholthausen (KJG) (Sauerland). „Bis ich 18 Jahre alt war, bin ich jedes Jahr mit der KJG ins Lager gefahren“, berichtet er. „Ab meinem 16. Lebensjahr war ich als Betreuer dabei.“ Zu den Reisezielen, die dabei angesteuert wurden, gehörten unter anderem Rom, Südschweden und Korsika. In der Gemeinde leitete er zusammen mit einem Kumpel darüber hinaus Gruppenstunden. Nach der Mittleren Reife im Jahr 2004 wechselte er auf das Bischöfliche Liebfrauen-Kolleg in Coesfeld und legte dort 2006 das Fachabitur ab. Danach absolvierte er zunächst seinen Zivildienst in einem Billerbecker Altenheim und bewarb sich schließlich bundesweit als Tierpfleger. Doch seine „Laufbahn“ in diesem Bereich umfasste letztlich nur ein Praktikum im Allwetterzoo Münster.
Angeregt durch den sozialen Dienst im Altenheim entschloss Volkmer sich aber dann, Soziale Arbeit an der Fachhochschule Münster zu studieren, und schloss das Studium 2011 mit dem Bachelor of Arts ab. Nach dem Studium ging der groß gewachsene junge Mann nach Mombasa (Kenia), um sich dort in der Schulsozialarbeit zu engagieren, blieb aber statt der ursprünglich vorgesehenen sechs nur insgesamt drei Monate, weil er mehrfach an Malaria erkrankte. Nach Münster zurückgekehrt, arbeitete er zunächst für den Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE), stellte dort aber schnell fest, dass die schweren Schicksale der Jugendlichen ihn emotional zu sehr mitnahmen und er sich deshalb als ungeeignet für den Job betrachtete. Ein Kontakt zu Jörn Dummann, damals Presbyter der Apostelkirchengemeinde, half ihm dabei, eine neue Stelle zu finden: Im September 2013 trat er die neue Stelle beim Kinder- und Jugendtreff „Bonni“, damals in Trägerschaft der Apostelkirchengemeinde, an. Zuvor war er, der bis dahin wenig Kontakt zur Kirche hatte, evangelisch geworden.
Die Situation, die Tobias Volkmer damals im Dietrich-Bonhoeffer-Haus vorfand, beschreibt er im Rückblich sehr anschaulich: „Der Bonni-Treff war leer“, sagt er. „Es gab fast keine Besucher – warum auch immer. In der ersten Woche war ich ganz allein.“ Es kam also darauf an, den Jugendtreff völlig neu aufzubauen und zu gestalten. Volkmer sprach anfangs zwei oder drei Leute wegen einer möglichen Mitarbeit an und hatte bald ein Team von sieben Ehrenamtlichen zusammen, das sich im „Bonni“ um den Thekendienst und den Verkauf kümmern konnte. Danach kamen einige Freunde und Bekannte, und ganz langsam baute sich ein Besucherstamm auf. „Ein halbes Jahr nach dem Start wurde es voller“, erinnert er sich. „Viele kamen von der damaligen Paul-Gerhardt-Realschule.“
Inzwischen hat sich das sehr gut weiterentwickelt. „Es gibt bei uns immer Bewegung, also Zeiten, in denen es voller und in denen es weniger voll ist“, stellt der umgängliche, ausgesprochen freundliche Leiter des „Bonni“ fest. „Im Sommer gibt es häufiger Phasen, in denen viele lieber im Park chillen, als zu uns zu kommen, und nach den Sommerferien vergessen sie schon mal, dass es uns überhaupt noch gibt.“ Die Corona-Pandemie, in der das „Bonni“ über viele Monate hinweg geschlossen war, habe eine Menge verändert. „Seither sind wir – mit leichten Aufs und Abs – immer gut besucht, der Zuspruch ist gewachsen.“ Wobei es im „Bonni“ richtig voll ist, wenn 20 Kids da sind, wie Volkmer klarstellt. Die Klientel des Jugendtreffs komme aus der ganzen Stadt, und zwar aus Coerde und Berg Fidel genauso wie aus dem Kreuzviertel; die Mehrheit sei zwischen 12 und 16 Jahren alt.
Das Angebot im „Bonni“ ist ausgesprochen vielfältig: Montags ist offener Treff mit wechselnden Angeboten, am Dienstag gibt es ab 16:30 Uhr ein offenes Kochangebot, auch vegetarisch, vegan und halal, mittwochs ist Mädchentreff, donnerstags Projekttag mit Kreativangeboten und der Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen, freitags ist Wochenausklang. „Fragt man die Jugendlichen, was sie machen wollen, so antworten die meisten: ‚Keine Ahnung‘“, berichtet Volkmer. „Sie brauchen gewisse Vorgaben. Am Ende landet man bei uns aber immer im Kreativraum oder in der Werkstatt, denn alles, was kreativ ist, wird sehr gern gemacht.“ Deshalb steht im „Bonni“ ein großes Equipment zum Malen und Basteln zur Verfügung, aber auch Klassiker wie der Tischfußball-Kicker, der Billardtisch oder das Airhockey erfreuen sich nach wie vor großen Zuspruchs. Was Gesellschaftsspiele angeht, so wird immer eins genutzt; gerade ist AK B total aktuell. „Hier finden immer zwei oder drei zusammen, die miteinander spielen“, so Volkmer. Spielekonsolen und Computerspiele aller Art sind im „Bonni“ im Gegensatz zu manch anderen Kinder- und Jugendtreffs nicht tabu, aber es sollen möglichst solche sein, die man nicht ganz allein, sondern zusammen mit anderen spielen kann.
Und was macht nach Ansicht Volkmers das evangelische Profil der Einrichtung aus? „Die offene Jugendarbeit ist der Inbegriff dessen, was Jesus auch getan hat“, erklärt der „Bonni“-Leiter unverblümt. „Hier geht es nämlich um das grundsätzliche Angenommen-Sein durch Gott, und zwar so, wie du wirklich bist, und ich finde, es gibt kaum einen anderen kirchlichen Arbeitsbereich, der das so gut darstellt.“ Die Tür stehe allen Kids ab der fünften Klasse offen, alle könnten kommen und würden einbezogen. Man müsse im „Bonni“ überhaupt nichts leisten und bekomme trotzdem das, was man brauche. So spiegelten sich die grundsätzliche Annahme jedes einzelnen Menschen und die grundlegende Nächstenliebe ganz konkret in der Arbeit wider. Jeder und jede Jugendliche habe spirituelle Bedürfnisse, und das „Bonni“ biete als evangelische Einrichtung die ideale Plattform, um darüber mit den jungen Leuten offen ins Gespräch zu kommen. „Und dabei haben wir auch kein Problem mit heiklen Themen“, versichert Volkmer. Derzeit spiele der Nahostkrieg zwischen Israel und der Hamas eine große Rolle in den Gesprächen, was für heikle Situationen und heiße Diskussionen sorge.
Volkmer hat seit 2021 eine halbe Stelle im „Bonni“ und ist mit seiner anderen halben Stelle für die Mitarbeitervertretung freigestellt. Hannah Albrecht steht ihm seither als fest Angestellte zur Seite, außerdem vier Honorarkräfte. Wenn es darum geht, warum die Mitgliedschaft im neuen Trägerverbund des Kirchenkreises vorteilhaft ist, muss Volkmer nicht lange überlegen. „Der Vorteil ist, dass wir professionell und zuverlässig vertreten werden“, hebt er hervor. Vorher in den Kirchengemeinden sei die Vertretung von den Fachkräften selber oder dem Presbyterium abhängig gewesen und damit eher dem Zufall überlassen, ob jemand im Presbyterium sei, der oder die sich mit der Thematik auskenne. „Jetzt verlaufen die Verhandlungen mit dem öffentlichen Träger koordiniert und gesammelt und nicht mehr einzeln“, urteilt er. „Es gibt einen besseren Austausch zwischen den Einrichtungen, und die Personal- und Finanzverwaltung wurde vereinheitlicht, ist also auch kein ‚Flickenteppich‘ mehr.“ Gerd Felder
Info
Das „Bonni“ im Dietrich-Bonhoeffer-Haus neben der Apostelkirche ist montags bis dienstags von 15 bis 20 Uhr und freitags von 13:30 bis 16:30 Uhr geöffnet.