Havixbeck. Als erster Kirchenkreis in Westfalen hat der Kirchenkreis Münster einen Trägerverbund für offene Kinder- und Jugendarbeit gegründet, den Jessica Böker leitet. Waren zuvor die Kirchengemeinden selbst Trägerinnen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, so ist es jetzt der Trägerverbund, mit dem somit eine neue, eigenständige Säule der kirchlichen Arbeit entstanden ist. Um deren Arbeit bekannter zu machen, stellen wir in dieser Serie beispielhaft Einrichtungen vor, die dem Trägerverbund angehören. In der fünften Folge geht es um das Kinder- und Jugendzentrum EVA in Havixbeck, das Christin Bierbaum leitet.
Geboren 1993 in Rheine, wuchs Christin Bierbaum in einer katholischen Familie auf, die einen engen Bezug zur Kirche hatte. Ihr Vater war Mitglied des Kirchenvorstands, und sie selbst war Messdienerin und Mitglied im Chor ihrer Heimatgemeinde und fuhr im Sommer auch mit ins Zeltlager, das für die Jugend veranstaltet wurde. Darüber hinaus erteilte sie zeitweise auch Firmunterricht. Nachdem sie im Jahr 2015 die Fachhochschulreife erlangt hatte, studierte sie von 2014 bis 2018 an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster, und machte im Jahr 2018 den Bachelor. „Ich wollte immer schon etwas im sozialen Bereich machen, und als ich die Arbeit der Caritas-Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen kennengelernt hatte, wollte ich das auch können“, erklärt sie ihre berufliche Ausrichtung. Bei der Caritas-Beratungsstelle, die Freizeitangebote für Menschen mit Behinderungen macht, arbeitete sie auch während ihres Studiums. Nach dem Abschluss aber war sie zunächst für kurze Zeit in einer Wohngruppe in Ochtrup tätig, bevor sie von der Stellenausschreibung in Havixbeck erfuhr, sich dort bewarb und auch angestellt wurde. „Als ich am 1. September 2019 die Stelle antrat, ist damit zugleich ein kleines Abenteuer für mich gestartet“, berichtet sie. „Für mich war komplett alles neu, und gefühlt war ich zum ersten Mal überhaupt in Havixbeck.“ Sobald ihre Vorgänger, die über 30 Jahre am EVA-Jugendzentrum tätig gewesen waren, den Offenen Treff besuchten, fühlte sie sich allerdings wie zu Hause. Trotzdem musste sie sich in den Räumlichkeiten erst einmal orientieren und einen Blick dafür bekommen, wo was ist und wer wann vor Ort ist. Nach einer gewissen Zeit entschloss sie sich, die Öffnungszeiten für Kinder und Jugendliche zu teilen: Alle Kinder zwischen 6 und 13 Jahren kommen seither montags bis freitags von 14:30 bis 17:15 Uhr, alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab 13 bis 24 Jahre von 17:15 bis 20, freitags bis 21 Uhr. War früher auch sonntags geöffnet, so finden einzelne Aktionen wie eine Präventionsschule für den Alkoholverzicht oder ein Mädchen oder Jungentag jetzt samstags statt.
Wer kommt ins EVA? Das lässt sich nicht so einfach sagen, wie Christin Bierbaum betont. „Unsere Klientel ist bunt gemischt“, erläutert sie. „Dazu gehören viele ältere Jugendliche, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben, ebenso wie Kids und Jugendliche mit Migrationshintergrund.“ Insgesamt sind unter den Besuchern mehr Jungen und junge Männer als Mädchen und junge Frauen vertreten. Jeder und jede von ihnen bringe ein Köfferchen an Problemen mit, egal ob es jetzt ein Streit mit den Eltern oder Freunden, Liebeskummer und überhaupt die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität oder die Suche nach einer Wohnung und einem Job sei. „Nachdem wir ein Programm über sexuelle Bildung aufgelegt haben, öffnen die Jugendlichen sich auf ganz erstaunliche Weise, wenn es um ihre sexuellen Probleme geht“, stellt die EVA-Leiterin fest. „Vorher haben sie das eher mit sich allein im stillen Kämmerlein ausgemacht.“ Der Nahostkonflikt war kurz nach dem 7. Oktober und mit Beginn des Krieges im Gaza-Streifen ein großes Thema, weil einige Jugendliche, die das EVA aufsuchen, aus Palästina stammen. Inzwischen haben die Diskussionen sich aber etwas beruhigt.
Das Havixbecker Kinder- und Jugendzentrum hat viel zu bieten: Einen Billardtisch, eine Tischtennisplatte sowie viele Gesellschafts- und Computerspiele stehen zur Verfügung. „Wir achten allerdings darauf, dass die Jugendlichen vom Zocken am Computer wegkommen“, unterstreicht die Leiterin. „Sie sollen nicht länger als eine Stunde am Computer verbringen.“ Absolutes Highlight im EVA ist ein Boxautomat, der vom Kreis Coesfeld finanziert wird. „Er hat uns schon manche Diskussionen erspart und beim Lösen von Konflikten geholfen“, urteilt Christin Bierbaum schmunzelnd. „Für die Großen ist er ein Heiligtum.“ Draußen steht den Kids darüber hinaus ein großes Gelände zur Verfügung, wo sie Fußball, Volleyball und Basketball spielen können und zudem eine große Feuerstelle angelegt worden ist. Drogenkonsum ist übrigens im EVA erfreulicherweise kein Thema, und seit der offiziellen Konsum-Freigabe hat auch kein Cannabis-Boom eingesetzt, wie man vielleicht erwarten könnte. Alkoholkonsum stellt ebenfalls kein Problem mehr dar.
Christin Bierbaum ist keine Einzelkämpferin, sondern kann sich auf die Unterstützung durch die ebenfalls fest angestellte Viktoria Loos verlassen. Hinzu kommen zwei Übungsleiter und ein älterer Ehrenamtlicher, der vor allem bei handwerklichen Problemen hilft. Eine besondere Kooperation hat das EVA mit der örtlichen Gesamtschule, die direkt gegenüberliegt. Am Montag, Mittwoch und Donnerstag ist das Kinder- und Jugendzentrum mittags für eine Stunde geöffnet, so dass dann dort 40 bis 50 Kids ihre Mittagspause verbringen können – eine Win-Win Situation für beide Partnerinnen, da die Barrieren zwischen Schule und offener Jugendarbeit tendenziell überwunden werden müssen, sobald es – analog wie zur Kita – auch einen Betreuungsanspruch für den Bereich der Schule gibt. Die Gesamtschule nutzt außerdem morgens die Räumlichkeiten von EVA. „Wir sind sehr gut vernetzt und haben auch eine tolle Kooperation mit dem Familienbüro des Rathauses im Hinblick auf die Sommerferien“, hebt Bierbaum hervor.
Und was macht das evangelische Profil der Einrichtung aus? „Ich denke, das ist wirklich die Nächstenliebe“, erklärt die Leiterin. „Jeder und jede ist so willkommen, wie er oder sie zu uns kommt. Und wir sind auch total aufgeschlossen für Diskussionen über Religion.“ Unter anderem werde ganz viel miteinander verglichen, was die Aussagen der Bibel und des Korans zu bestimmten Themen sind, da etliche Besucher Muslime seien. Im vorigen und in diesem Jahr wurde aber auch gemeinsam die Osternacht gefeiert. Was den Vorzug der Mitgliedschaft des EVA-Jugendzentrums im Trägerverbund des Kirchenkreises ausmacht, kann Christin Bierbaum ebenfalls spontan benennen: „Für mich ist das zunächst einmal die Stellensicherheit, denn falls die Kirchengemeinden aufgrund finanzieller Einbußen einmal größere Probleme bekommen sollten, ist diese Stelle beim Kirchenkreis auf jeden Fall gesichert.“ Die Verknüpfung mit anderen Jugendeinrichtungen auf verschiedenen Ebenen sei selbstverständlich wichtig, und der Austausch sei viel besser als vorher. „Man steht nicht mehr allein da“, so Bierbaum. Gerd Felder