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Fluthilfe im Ahrtal: Die stillen Schicksale – Münsteraner Klinikseelsorger mahnt weitere Unterstützung an

Äußerliche Spuren der Flut gibt es noch, aber sie werden weniger. Foto: privat.

Münsterland/Ahrtal. Karl H. Köster hat schon viele menschliche Schicksale gesehen und begleitet, denn als evangelischer Seelsorger am Uniklinikum Münster hat er es täglich mit Menschen an den Grenzen des Lebens zu tun. „Meine Erfahrung zeigt mir“, so der 59-jährige Pfarrer, „dass leider in der Not oft die kranken, schwachen, alten und alleinstehenden Menschen als erste unsichtbarer werden, weil sie kaum eine Lobby haben und allmählich mit ihrem Schicksal in der Stille verschwinden.“ So hat Köster es auch im Ahrtal erlebt, wo nach der Jahrhundertkatastrophe zunächst eine unglaubliche Welle der Hilfe und Unterstützung ankam, die auch heute noch, gleichwohl deutlich schwächer geworden, funktioniert.

Doch das wahre Ausmaß der verheerenden Flut zeigt sich zunehmend nicht mehr an und in den Häusern, Geschäften, Gaststätten, den Straßen und Plätzen. Viele Gebäude sind frisch renoviert, es werden wieder Gäste empfangen, Feste finden statt, der Tourismus zieht allmählich an. Äußerliche Spuren der Flut gibt es noch, aber sie werden weniger. Die Psyche vieler Menschen kommt hingegen noch lange nicht in den „Aufbaumodus“, wie Köster es nennt, das Flut-Trauma wiederholt sich permanent, die Gefühle jener Juninacht sind oft kaum verarbeitet und zeigen sich in der schlechten psychischen Verfassung vieler Betroffener.

Das ist die eine Seite der „stillen Schicksale“, die andere ist noch handfester: Viele Menschen werden, aufgrund ihres Alters oder einer Erkrankung, weil sie allein sind oder nicht gewohnt um Hilfe zu bitten, zunehmend an den Rand der Gesellschaft gedrängt, die verständlicherweise wieder in den „Normalmodus“ zurückkehren möchte. Viele Eindrücke und Argumente für ein „Weitermachen“ in der Fluthilfe, in der Köster seit Juni 2021 zusammen mit seiner Frau und vielen weiteren Helfer*innen unterwegs ist. Was mit einem Kaffeestand auf dem zerstörten Marktplatz in Ahrweiler begann – ein Ort der Erholung und Begegnung, der viele Kontakte zu Betroffenen ermöglicht hat – ist heute ein kleines Netzwerk von engagierten Helfenden aus dem Münsterland.

„Unsere Transportgruppe”, so Köster, “sammelt seit Oktober 2021 Hilfsgüter und bringt sie ins Ahrtal, da sprechen wir inzwischen von einem Warenwert im mittleren sechsstelligen Bereich. Meine Frau und ich haben uns durch die am Kaffeestand entstandenen Freundschaften zunehmend auf die individuelle Hilfe für Einzelpersonen konzentriert. Regelmäßige Anrufe, Besuche und Aufmerksamkeiten festigen diese Verbindungen, und zugleich werden immer mehr Schicksale in ihrer stillen Dramatik deutlich, werden aus dem Schatten wieder mehr ans Licht gebracht.”

„Man glaubt es nicht”, berichtet Köster, “wenn man es nicht selbst erlebt hat: Eine 75-jährige Frau tingelt 15 Monate lang mit ihren Taschen zwischen verschiedenen Übergangsquartieren, bis sie endlich in eine neue Wohnung ziehen kann. Oder die vielen Senior*innen, die zwar noch halbwegs mobil sind, denen aber zunehmend die Kraft zu regelmäßigen Einkäufen, zum Kochen, zur Hausarbeit fehlt, weil sie sich ständig um Handwerker und Renovierung kümmern müssen. Oder die Alleinerziehenden, die angesichts der Dramatik bei den Lebensmittel- und Energiepreisen allmählich verzweifeln. Und: Wichtige soziale Treffpunkte, die unmittelbar nach der Flut etwas Halt gaben, sind größtenteils wieder verschwunden, dabei zeigt sich jetzt erst, wie hoch bei Vielen der Redebedarf ist und das Bedürfnis nach Gemeinschaft.”

Geschichten dieser Art gibt es viele und für Pfarrer Köster ist klar: „Wir wollen da weiter hinsehen, wo andere inzwischen wieder wegsehen, wollen die unterstützen, die nicht so laut rufen können, die keine Reichweite auf Facebook haben.“ „Es geht um Würde, das haben wir in der Fluthilfe gelernt“, so Köster, „denn nicht jeder oder jede will und kann die eigene Bedürftigkeit publik machen.“ So werden die stillen, bescheidenen Menschen von den schnellen ständig überholt.

„Heute für Morgen“ heißt die von Köster und seiner Frau gegründete Initiative aus Havixbeck. Der Name ist und bleibt Programm: Im Ahrtal ist noch längst nicht alles gut, wie manche Leute meinen. Es ist nach wie vor ein Katastrophengebiet, nur stiller ist es geworden um die Schicksale. Daher wird dringend weiter um Spenden gebeten und um tätige Mithilfe in der gut organisierten Helferszene.

Spendenkonto der „Katastrophenhilfe Münsterland e.V“
Verwendungszweck: „Spende Fluthilfe
VR-Bank Westmünsterland eG:
IBAN: DE74 4286 1387 0044 5536 00
BIC: GENODEM1BOB