Münster. Verschwörungsideologien haben derzeit Konjunktur. Häufig sind es Krisensituationen, die verschwörungsideologische Erzählungen befeuern, weil deren Ursachen vielfältig und schwer nachzuvollziehen sind und gerade deshalb starke Verunsicherung und Ängste bei den Menschen hervorrufen.
Aufgrund der Aktualität erschütternder Krisen, wie der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der entsprechenden Verbreitung von Verschwörungserzählungen veranstaltete der Ausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung in Zusammenarbeit mit der Erwachsenenbildung im Evangelischen Kirchenkreis Münster einen Gesprächsabend zu diesem Thema. Unter dem Titel „Standpunkt Kirche: Nichts ist wie es scheint – Merkmale und Bedeutung von Verschwörungsideologien“ referierten Anna-Lena Herkenhoff und Michael Sturm von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Münster (mobim) am 16. November in der Auferstehungs-Kirchengemeinde Münster.
Die „mobim“ unterstützt Menschen im Münsterland und im nördlichen Ruhrgebiet, die sich mit rechtsextremen Haltungen auseinander- und für eine offene sowie demokratische Gesellschaft einsetzen. Die Verbindung zwischen rechtspopulistischem Gedankengut und derzeit kursierenden Verschwörungsideologien im Zusammenhang mit einer pro-russischen Haltung, dem Leugnen des Covid-Virus beziehungsweise des Querdenkens verorteten Herkenhoff und Sturm in gemeinsamen Narrativen sowie eines übereinstimmenden Menschen- und Gesellschaftsbildes. Die Gesprächslogik nehme auf vertikaler Ebene insofern eine Abgrenzung zwischen „Wir hier unten“, womit die eigene Verortung als Durchschnittsbevölkerung einhergehe, und „Denen da oben“, worunter die als feindlich gesinnt wahrgenommene Regierung beziehungsweise Wissenschaft und Forschung verstanden werde. Auf horizontaler Ebene finde eine Abgrenzung zwischen „Wir“, beispielsweise den Nicht-Geimpften oder der Volksgemeinschaft und „den Anderen“, den Geimpften oder Fremden statt.
Diese Positionierung gebe laut Herkenhoff und Sturm bereits Aufschluss über das zugrundeliegende Freiheits- und Menschen- beziehungsweise Gesellschaftsbild. Ersteres sei hyperindividualistisch. Demnach werde Freiheit als Garantie verstanden, stets das tun zu können, was den eigenen Bedürfnissen entspricht. Das Menschen- und Gesellschaftsbild sei hingegen sozialdarwinistisch aufgeladen und stehe insofern nicht in Widerspruch zum Selbstverständnis als Gemeinschaft. In der Volksgemeinschaft würden Schwache aufgrund der hierarchischen Ausrichtung zurückgelassen.
Zum Standpunkt der Kirche und im persönlichen Umgang mit Verbreiter*innen von Verschwörungsideologien plädierten Herkenhoff und Sturm für eine Haltung der praktischen Solidarität. Dies bedeute nicht primär, die Verbreiter*innen umzustimmen, sondern sich mit den Menschen zu solidarisieren, die unter Verschwörungserzählungen leiden. Sturm machte in diesem Zusammenhang auf den Umstand aufmerksam, dass im Rahmen der Corona-Pandemie antisemitische Anfeindungen zugenommen hätten. Ein Teilnehmer des Vortrages mahnte in diesem Zusammenhang an, dass die Personenzahl, die in Münster gegen die Montagsspaziergänge demonstriert, immer mehr abnehme.
Einige Teilnehmer gaben im Gespräch nach dem Vortrag jedoch auch ihrer Sorge Ausdruck, aufgrund einer kritischen Haltung in einen rechtsextremen Bereich gedrängt zu werden. Herkenhoff und Sturm betonten diesbezüglich, dass eine regierungs- oder wissenschaftskritische Haltung nicht bereits rechtsextrem sei. Problematisch werde erst die Aufnahme des zuvor dargelegten Menschenbildes. Für den Umgang mit Verbreiter*innen von Verschwörungserzählungen sowie für die eigene Reflexion rieten sie, zu erfragen, welche zugrunde liegenden Ängste möglicherweise die entsprechende Ideologie attraktiv macht oder befeuert. eml