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„Du warst und bist ein Glücksfall für die Kirche“ – Pfarrer Martin Mustroph ruft zum „Lust-Machen auf Gott“ auf

Entpflichteten den langjährigen Pfarrer Martin Mustroph (v.l.): Superintendent Holger Erdmann, Presbyteriumsvorsitzender Erhard Schäfer und Pfarrer Egbert Mustroph. Foto: Felder

Münster. Abschiedsschmerz, Wehmut, gar Tränen prägen meistens die Stimmung, wenn ein langjähriger, verdienter Pfarrer in den Ruhestand geht. Bei der Verabschiedung von Pfarrer Martin Mustroph, der 38 Jahre in der früheren Jakobus- und heutigen Thomasgemeinde tätig gewesen ist, war jedoch alles völlig anders. Lust am Glauben, Freude an Gott und den Menschen und Hoffnung für die Zukunft kennzeichneten den Abschiedsgottesdienst in der Jakobuskirche und den anschließenden Empfang im Jakobuszentrum. „Du warst und bist ein Glücksfall für die Kirche“, lobte Superintendent Holger Erdmann den scheidenden Seelsorger bei der feierlichen Entpflichtung. Und Presbyteriumsmitglied Prof. Dr. Reinhard Kohl machte sich zum Sprecher für die ganze Gemeinde, als er sagte: „Lebe wohl, es war eine wunderbare Zeit, und wir werden dich vermissen.“

In seiner fulminanten, Mut machenden, mitreißenden Predigt hob der scheidende Pfarrer hervor, Juden und Christen seien dazu aufgerufen, Lust zu machen auf Gott. „Und wenn mir das in den letzten Jahren hier und da ansatzweise gelungen ist, dann war mein Dienst nicht ganz vergeblich“, so Mustroph. Darüber hinaus seien Juden und Christen aber auch dazu aufgerufen, von Gottes Zorn zu sprechen, den Finger in die Wunde zu legen, wenn in der Welt die Früchte der Erde so ungerecht verteilt seien, die Wohlhabenden von Steuerermäßigungen profitierten, manche Rentnerin sich überlegen müsse, ob sie sich beim Bäcker noch das Stück Kuchen leisten könne, und wenn in der lebens- und liebenswerten Stadt Münster ein Mensch niedergeschlagen werde und sterbe, nur weil er anders lebe und liebe. „Wenn mir das in den letzten Jahren hier und da ansatzweise gelungen ist, unser Gewissen zu schärfen – und zwar vor allem mein eigenes –, dann war mein Dienst nicht ganz vergeblich“, fügte Mustroph hinzu. Glaubende seien dazu aufgerufen, die Sehnsucht nach Gottes neuer Welt wachzuhalten – auch in einer Zeit, in der so viele Menschen voller Sorge in die Zukunft blickten. Da die Menschen in erster Linie Beschenkte seien, sei es einfach eine Lust, aus dem Brunnen des Heils zu schöpfen. „Lust“ sei allerdings nicht gerade die große Stärke der Protestanten, die sich bei „Last“ besser auskennen würden. In der Kirche erlebe er derzeit eine zunehmende Ängstlichkeit und damit verbunden zunehmende Anforderungen an sich selbst: schrumpfende Gemeinden, immer weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, zu wenig Geld, zu wenig Gottesdienstbesucher, zu wenig Glauben, zu wenig Gemeindeleben. „Wie viele Programme, Konzeptionen, Zukunftsvisionen mit durchaus klugen Ideen, als Hochglanzbroschüre gedruckt, sind auf den Schriftentischen verstaubt – weil das alles viel Druck, aber wenig Freude macht“, mahnte Mustroph. „Natürlich brauchen wir phantasievolle, innovative Gemeindearbeit, aber nicht um den Preis, dass wir in Aktionismus verfallen und mit hängender Zunge hinter uns selbst herlaufen. So machen wir uns kaputt und laufen uns im wahrsten Sinne des Wortes tot.“ Aufschlussreich sei auch, dass die Bereiche des Gemeindelebens als „Arbeit“ bezeichnet würden. „Diese protestantische Selbstzerknirschung beschwingt keine Seele, sondern stutzt die Flügel, macht lahm und lustlos.“ Eine weinerliche, um sich selbst kreisende Gemeinde sei wenig attraktiv und habe keine Ausstrahlung. „Verabschieden wir uns von unseren verkniffenen Versuchen der Selbsterlösung, lassen wir die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders, des Unvollkommenen, des Fehlerhaften auch für uns in der Kirche gelten“, forderte der erfahrene Seelsorger mit großem Nachdruck. Es komme darauf an, „reichlich und unverschämt“ aus dem Brunnen des Heils, dem Wort Gottes, der Heiligen Schrift, der Taufe und dem Abendmahl zu schöpfen. „Dieser Brunnen des Heils macht die Kirche, auch wenn sie in die Jahre gekommen ist, immer wieder lebendig und frisch und schön und attraktiv“, betonte Mustroph. „Er stillt unseren Lebensdurst, unsere Sehnsucht nach einem Leben, das diesen Namen wirklich verdient. Das zu feiern, davon reden zu dürfen, liebe Schwestern und Brüder, ist ein Glück.“ Das sei so schön, dass man es glatt zu seinem Beruf machen könnte. „Ich jedenfalls habe es keinen Tag bereut.“

Superintendent Holger Erdmann bescheinigte Mustroph in seiner Ansprache vor der Entpflichtung: „Wer so viel Power und Kraft hat, den will man gar nicht in den Ruhestand verabschieden.“ Mustroph könne auf eine Berufsbiographie verweisen, „die in ihrer Treue zur Gemeinde selten und vielleicht einmalig ist.“ Mit Haut und Haar, Leib und Seele, Herz und Verstand habe er sich seiner Aufgabe verschrieben. „Du hast Dienst von Dienen abgeleitet und so viele Menschen begleitet“, hob der Superintendent hervor. Was die Zahlen angehe, so habe er gleichsam ein ganzes Dorf getauft, konfirmiert und beerdigt. „Du hast ein Riesen-Netzwerk der Beziehungen aufgebaut, warst das evangelische Gesicht der Gemeinde.“ Getragen von seiner Familie, habe er die Jakobus- und später die Thomasgemeinde mit geprägt. „Die Gemeinde wird sich daran gewöhnen müssen, dass der Pfarrer nicht immer Mustroph heißen muss“, merkte Erdmann vielsagend an. In Freud und Leid, an Taufbecken wie an Särgen und Urnen habe er die Liebe Gottes lebendig gepredigt. Mustroph sei auch das Gesicht des Kirchenkreises in der Öffentlichkeitsarbeit gewesen, habe den Kirchenkreis in gesellschaftliche Diskurse eingebracht und ihn gut durch die Krisen der Vakanzzeiten bei den Superintendenten gebracht, nicht zuletzt auch Erdmann selbst in verschiedenen Rollen gut ins Amt geholfen und loyal begleitet. „Ich segne dich nicht heraus, sondern nur aus den Sachen, die manchmal lästig sind“, hob der Superintendent hervor, bevor er Mustroph offiziell entpflichtete. „Tue das, was du noch tun kannst.“

Beim anschließenden Empfang war der Andrang ebenso groß wie beim vorhergehenden Gottesdienst. Lang war auch die Liste der Grußworte. Bezirksbürgermeister Dr. Stephan Nonhoff sagte, man könne sich bei Mustroph gar nicht genug für sein Engagement bedanken. „Du hast gezeigt, was Gemeinschaft im 21. Jahrhundert für eine Kraft und Stärke hat, und was möglich wäre, wenn man nur wollte.“ Presbyteriumsmitglied Reinhard Kohl bescheinigte Mustroph, er sei „das Positive in Person“, besitze ein sonniges Gemüt und eine natürliche Unbekümmertheit. Eine Zuversicht darin, dass eine Sache sich letztlich zum Guten wenden werde und unser Tun gelinge, spreche aus seinem gottesdienstlichen Tun und mache die Menschen selbst zuversichtlich. „Bedeutungslose religiöse Gemeinplätze oder Besinnungsmonologe hat man bei dir vergeblich gesucht. Du weißt, was es heißt, öffentlich zu sprechen.“ Darüber hinaus habe Mustroph sich den Ruf eines „Gremienfuchses“ erworben und als Christ und engagierter Bürger Partei in öffentlichen Streitfragen bezogen. Im interreligiösen und interkonfessionellen Dialog sei er als Brückenbauer aufgetreten, und außerdem sei er ein vorbildlicher Familienmensch und geselliger Zeitgenosse. „Wir danken dir von ganzem Herzen. Du bist als Gast immer willkommen“, schloss Kohl.

Mehrere originelle musikalische Beiträge bereicherten die Feier. Einige Grußworte kamen aus dem Bereich der Ökumene, so von der katholischen St. Stephanus-Gemeinde, der altkatholischen Gemeinde und der All Nations Christian Church. Besonders herzlich dankte der neue Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Münster, Mike Khunger, Mustroph „für die gute, langjährige und liebevolle Zusammenarbeit, für Dialog, Toleranz und Akzeptanz“. „Du bist für uns alle ein Vorbild und bei uns immer herzlich willkommen“, so Khunger. Am Ende verglich Dr. Sebastian Kuhlmann, ehemaliger Vikar der Thomasgemeinde, Mustroph sogar mit Batman und hob insbesondere seine Fähigkeit hervor, von jetzt auf gleich in eine Rolle zu schlüpfen und trotzdem zu 100 Prozent er selbst zu bleiben. „Diese irre Balance hast du vorbildlich hinbekommen“, so Kuhlmann. Der so Gelobte selbst dankte seiner Gemeinde „für ein tolles Miteinander“ und seiner Kirche „dafür, dass sie mich in einem so schönen Beruf hat arbeiten lassen.“ Nach einer reichen, erfüllten Zeit freue er sich jetzt zusammen mit seiner Familie auf den Ruhestand. Gerd Felder