Am Beginn der Passionszeit 2022 erleben wir Krieg – ein großer Riss, der schmerzlich und blutig quer durch Europa geht. Frieden und Versöhnung scheinen weit entfernt.
Und wir spüren die vielen kleinen Risse quer durch die Gesellschaft gehen: Bei vielen Themen! Impfpflicht oder nicht! Vorsichtige Zurückhaltung bis hin zum völligen Verzicht oder Leben wagen. Rechte der Alten auf Schutz, damit physische Gesundheit erhalten bleiben möge oder Rechte der Jungen auf freie Entfaltung, damit psychische Gesundheit nicht gefährdet sein möge. Spaziergänge und Gegendemos, Positionen, die unversöhnlich aufeinanderprallen. Und im Blick auf die Ukraine: Wahrheit, die verkürzt wird oder gar ganz auf der Stecke bleibt. Denn die Wahrheit, so heißt es, ist immer das erste Opfer des Krieges.
Als Christinnen und Christen erinnert uns die Bibel zum Auftakt der Passionszeit an den Auftrag der Versöhnung. Was eine übergroße Forderung für überforderte Leute wie dich und mich, die wir doch so oft auch nicht wissen, wie uns in dieser zerrissenen Welt geschieht. Wie kann es gehen, frage ich mich? Was kann unser Impuls in dieser unruhigen Zeit sein? Unser individueller und unserer als evangelische Kirche.
Was wir einbringen können: Fünf Gedanken für sieben Wochen.
1) Eine größere Perspektive, in der wir die Gegenwart einordnen und die Zukunft erhoffen. Wir nennen sie Gott und trauen ihr zu, Menschen und Welten zu verändern. Nicht mit Gewalt, nicht Knall auf Fall, aber mit der unaufhaltsamen Kraft der versöhnenden Liebe Gottes. Aus dieser Perspektive will ich leben. Mit dieser Perspektive will ich auf Menschen und die Welt blicken und für diese Perspektive will ich werben.
2) Ohren, die wirklich hören. Ich erlebe, dass Menschen, die sich nicht gehört fühlen, immer lauter werden. Rede und Gegenrede schaukeln sich auf. Ein unseliger Kreislauf der Überbietung. Schweigen, um zu hören, ist da wie ein Stopp, das alte Muster durchbricht und manchmal Neues ermöglicht.
3) Räume, die wir öffnen können, um Diskurse zu fördern. Im Sinne des gegenseitigen respektvollen aufeinander Hörens. Wohlgemerkt: Räume, die nicht Plattform für Parolen sind, sondern Räume derer, die ernsthaft Begegnung, Verstehen und Diskurs suchen.
Und in diesen Tagen auch Räumen, in denen gebeten, getrauert und gehofft werden kann – gegen die Realität der Waffen!
4) Eine gut gegründete Ruhe gegen die überall spürbare Hocherregbarkeit und Hocherregung. Ich erlebe eine Dauerskandalisierung auch von Nebensächlichkeiten oder Kleinigkeiten und möchte werben für mehr Gelassenheit und auch für Barmherzigkeit ohne moralisierendes Steinewerfen für alles auf jedes.
5) Das Werben für Kompromisse in einer polarisierten und polarisierenden Welt. Es will mir scheinen, als gingen wir in dieser Gesellschaft mit zu festen Positionen gegeneinander ins Rennen. Jeder Kompromiss wird als Schwäche oder gar Verrat der Sache abgetan und die Kraft des Miteinanders, die im Finden des Kompromisses liegt, wird übersehen. Die möchte ich stark machen.
Und für all das und für noch vieles mehr gebe uns Gott Kraft von seiner versöhnenden Kraft und Liebe von seiner ansteckenden Liebe und begleite uns durch die sieben Wochen hin auf dem Weg zur Feier des Lebens.
Der vorstehende Text ist die Zusammenfassung einer Predigt von Superintendent Holger Erdmann, die er am 6.3.2022 in der Apostelkirche gehalten wurde. Der vollständige Text kann unter folgendem Link heruntergeladen werden.