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„Bei uns ist kein Raum für Missbrauch“

Viola Langenberger ist als Präventionsfachkraft im Bereich Sexualisierte Gewalt für die Evangelischen Kirchenkreise Münster und Tecklenburg tätig, um Gemeinden bei der Erarbeitung von Schutzkonzepten zu unterstützen. Foto: privat.

Präventionsfachkraft Viola Langenberger unterstützt Gemeinden im Evangelischen Kirchenkreis Münster bei der Präventionsarbeit im Bereich Sexualisierte Gewalt

Münster. Seit 1.1.2022 ist Viola Langenberger in der neu eingerichteten Stelle der Präventionsfachkraft im Bereich Sexualisierte Gewalt für den Evangelischen Kirchenkreis Münster tätig. Die Sozial- und Gemeindepädagogin war zuvor Jugendreferentin in der Region Lengerich im Kirchenkreis Tecklenburg. Ihr Wissen und ihre Erfahrung aus vielen Jahren gemeindepädagogischer Arbeit will sie nun einbringen, um Kirchengemeinden der Evangelischen Kirchenkreise Münster und Tecklenburg dabei zu unterstützen, sexualisierter Gewalt keinen Raum zu bieten.

Die Stelle der gemeinsamen Präventionsfachkraft war im vergangenen Jahr in den beiden Kirchenkreisen eingerichtet worden, um die Gemeinden bei der Umsetzung des im März 2021 in Kraft getretenen neuen „Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ zu unterstützen. Mit diesem Gesetz sind alle Mitarbeitenden, sobald sie mit schutzbedürftigen Menschen zu tun haben, verpflichtet, erweiterte Führungszeugnisse vorzulegen und an Präventionsschulungen teilzunehmen, und zwar egal, ob haupt- oder ehrenamtlich. Außerdem müssen in allen Kirchengemeinden und Einrichtungen Schutzkonzepte erarbeitet werden. All das sind Bausteine einer „Kultur der Achtsamkeit und des Hinschauens“, der das neue Kirchengesetz verpflichtet ist. Als Präventionsfachkraft unterstützt und begleitet Langenberger Kirchengemeinden bei der Erarbeitung der Schutzkonzepte nach den vom Gesetz vorgegebenen verbindlichen Standards: „Betroffene Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind auf vertrauenswürdige Ansprechpersonen angewiesen, die im Zweifelsfall wissen, was zu tun ist. Präzise und gut durchdachte Schutzkonzepte können dafür die nötige Handlungssicherheit vermitteln – umgekehrt aber auch vor falschem Verdacht schützen. Mit meiner Arbeit kann ich die Gemeinden dabei unterstützen, solche Konzepte abgestimmt auf ihre jeweilige Situation vor Ort zu entwickeln.“

Dabei geht es nicht darum, dass Langenberger ausformulierte Bausteine vorlegt, die am Ende womöglich „in die Schublade gepackt werden“. Vielmehr fordert das Kirchengesetz einen „ganzheitlichen Ansatz, der eine Grundhaltung von Wertschätzung und Respekt voraussetzt und die verschiedenen Maßnahmen zueinander in Beziehung setzt.“  

Die konkrete Erstellung eines Schutzkonzeptes gestaltet sich gemeindebezogen individuell und prozesshaft. Grundlage ist eine genaue Potenzial- und Risikoanalyse, bei der alle Gemeindebereiche in den Blick genommen werden, um mögliche Gefährdungspotenziale zu identifizieren. Das können räumliche Strukturen sein, aber auch virtuelle Räume oder bestimmte Abläufe, die es Tätern und Täterinnen leicht machen. Auch bereits vorhandene Schutzfaktoren werden benannt: Stehen die Verantwortlichen der verschiedenen Gruppen und Arbeitsbereiche in gutem Austausch miteinander? Gibt es in einzelnen Arbeitsbereichen schon vereinbarte Regeln für den Umgang miteinander, einen Verhaltenskodex, Selbstverpflichtungserklärungen?

Anschließend geht es darum, die Standards, die das Kirchengesetz vorgibt, passgenau auf die Situation vor Ort zu übertragen und auf dieser Grundlage sowohl präventive Maßnahmen, wie zum Beispiel Selbstverpflichtungserklärungen, als auch Interventionsstrukturen, also etwa transparente Beschwerdeverfahren und Notfallpläne mit klaren Verfahrensregeln, zu entwickeln.

Das Kirchengesetz stellt klar, dass sexualisierte Gewalt auch unterhalb von Straftaten arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Damit ist eine Grundhaltung beschrieben: An unerwünschtes Verhalten, z.B. typisches Anbahnungsverhalten („grooming“), können künftig entsprechende Konsequenzen geknüpft werden. Deshalb sind bei der Erstellung der Notfallpläne auch für Übergriffe unterhalb des strafrechtlichen Bereichs Verfahrenswege festzulegen.  

Die Schutzkonzepte sollen das Risiko, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrer Gemeinde, statt Geborgenheit, Sicherheit und Nähe zu erfahren, Grenzverletzungen und Gewalt erleiden müssen, so weit wie möglich minimieren. „Die eigentliche Herausforderung besteht aber darin, den Schutzgedanken im täglichen Miteinander zu leben. Am Ende sind es nicht Konzepte, die vorbeugend wirken, sondern Menschen.“, erzählt Langenberger.

Das nötige Rüstzeug dafür: Wissen über sexualisierte Gewalt und ein bewusster Umgang mit Nähe und Distanz. Grundlagen für beides vermitteln Präventionsschulungen, wie sie im Evangelischen Kirchenkreis Münster regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Fachberatungsstelle „Zartbitter“ angeboten werden.

„Präventionsarbeit im Bereich Sexualisierte Gewalt gelingt umso besser, je mehr Menschen sich dafür engagieren.“ Aus diesem Grund ist auch die Erstellung der Schutzkonzepte partizipativ gedacht: Von den Presbyterien der Kirchengemeinde beauftragte Projektgruppen sollen sie unter möglichst breiter Beteiligung aus den Gemeinden entwickeln. Im Vordergrund steht die Reflexion der eigenen Haltung anderen Personen gegenüber – persönlich und als Einrichtung. In der Frage: „Wie achtsam gehen wir miteinander um?“ liege der Kern eines jeden Schutzkonzeptes. Langenberger unterstützt und begleitet die Projektgruppen bei der Suche nach einer Antwort: „In den Blick zu nehmen sind Bedingungen, die Tätern und Täterinnen in die Hände spielen. Denn wo fehlende Aufmerksamkeit und ein unsensibler Umgang mit persönlichen Grenzen – eigenen und denen anderer – den Umgang miteinander bestimmen, wird unbeabsichtigt ein Umfeld geschaffen, das Täter und Täterinnen anzieht und es ihnen leicht macht. Das zu erkennen, kann erschreckend sein – aber eben auch dazu beitragen, eine Haltung zu entwickeln, die von mehr Wertschätzung und Interesse an dem, was der/die andere eigentlich tut, geprägt ist. Dadurch wird gleichzeitig nach innen und außen signalisiert: Bei uns ist kein Raum für Missbrauch.“

Aktuell bietet Langenberger im Evangelischen Kirchenkreis Münster eine Reihe digitaler Einführungsveranstaltungen in das neue Kirchengesetz an. In mehreren Gemeinden bilden sich bereits Projektgruppen, um mit der Arbeit an den Schutzkonzepten zu beginnen. Auch die gemeinsame Verwaltung der Evangelischen Kirchenkreise Münster, Steinfurt-Coesfeld-Borken und Tecklenburg mit Sitz am Coesfelder Kreuz in Münster hat bereits damit begonnen, ein Schutzkonzept für das Kreiskirchenamt zu erstellen.